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Michael Sailstorfer im Gespräch mit Helmut Friedel

2005

H.F.: Arbeiten von Michael Sailstorfer zeigen immer die Welt in Veränderung. Es handelt sich dabei um Skulpturen , die die Dinge im Prozess der Verwandlung begreifen. Alles befindet sich in einem Aggregatszustand. Ist eine solche Charakterisierung, eine solche Beobachtung zutreffend ?

M.S.: Ja, in manchen Arbeiten gibt es tatsächlich eine solche Verwandlung von einem bestimmten Ausgangsmaterial zu einem Endprodukt. Wenn ich etwas über das Unterwegssein sagen will kann das Material z.B.  ein Auto, ein Bus oder ein Flugzeug sein. Dabei ist mir natürlich immer die erste Funktion, die Bedeutung des Ausgangsmaterials wichtig. Es bleibt immer ein Flugzeug und es ist eben auch wichtig  dass das Flugzeug in der Skulptur als solches erkennbar bleibt, wenn diese etwas mit dem Fliegen zu tun hat.

H.F.: Was soll aus einem Flugzeug dann werden, wenn ein Flugzeug, das ein Flugzeug war, wieder ein Flugzeug wird ? Was verändert sich am Ausgangsmaterial im Prozess des Skulpturwerdens ?  Was verändert sich am Flugzeug, wenn es zu einer Skulptur wird und seine Funktion aufgehoben ist ?

M.S.: Ja, der eigentliche  Wert des Flugzeugs, das Fliegen, wird ihm genommen. In der Arbeit „D-IBRB“ wird das Flugzeug zum Baumhaus. Es hängt im Baum. Es schwebt über dem Boden, auch darin ist immer noch die Idee des Fliegens enthalten. Aber gleichzeitig auch die Geschichte des Absturzes, der Crash von  Flugzeugen, der auch irgendwie möglich ist. Eine Katastrophe. Und das Kinderspiel. Von diesen Gegensätzen lebt die Arbeit. Spiel und Katastrophe, Mobilität und Immobilität. Und alles bleibt sichtbar. Bis zur Richtung aus der das Flugzeug auf den Baum zuraste. Diese Dynamik war mir beim Bau der Arbeit wichtig.

  H.F. Spannend erscheint mir dabei, dass ein Flugzeug das Fliegen verkörpert, aber wenn es am Boden aufgeknallt ist, macht es eine doch recht skurrile, wenn nicht tragische Figur. Der Gedanke von der Leichtigkeit des Fliegens ist angesichts des Geräts wenig zu spüren. In deinen Skulpturen wird aber ein Flugzeug, das im Baum hängt, zum Baumhaus. Der Verwandlungsprozess ist abgeschlossen. Das Ergebnis wirft eher die Frage auf: Wie konnte das passieren ? Auch in anderen Arbeiten werden in und durch die Erarbeitung Umwandlungen des „Materials“ notwendig. Es ist vielleicht ein wesentliches Kennzeichen deiner Arbeiten, wenn ich an das Verschwinden des Holzhauses denke, das im Ofen des Hauses, das um ihn herum stand, verbrannt wird?

M.S. Ja, ich glaube, das trifft in vielen Arbeiten zu, ein bestimmtes Ausgangsmaterial mit einer bestimmten Bedeutung das dann und während des Arbeitsprozesses oder in der Arbeit selbst irgendwie eine Umdeutung erfährt und mit allem, was es vorher war, Teil der Arbeit wird.

H.F.: Gerade in dem Werk „ 3 Ster mit Ausblick“ wird ja irgendwas wunderbar umgedreht. Anstelle einer Außenansicht wird plötzlich eine Aussicht eröffnet . Es wird ein Blick in der Natur freigeräumt. Gibt es immer einen Ersatz für den Verlust in deinen Arbeiten ?

MS.:  Es tritt ein neuer  Wert anstelle des Nutzwerts von einem Haus.
Das Haus verschwindet und man hat dafür einen besseren Blick auf die Umgebung.

H.F. Ist dein Arbeiten auch so etwas wie eine Sozialkritik oder eine Kritik an bestehenden Verhältnissen ? Wenn also bestimmte Formen  ironisiert werden, wenn ein Flugzeug nicht mehr fliegen kann, sondern zu einem Haus wird, wenn es also nicht mehr abheben kann, wenn ein Omnibus zu einer Weltkugel umgewandelt wird mit dem Titel „Und sie bewegt sich doch“, aber sich nicht mehr von der Stelle bewegt, sondern nur noch im Kreis, ist doch eine Umdeutung des Realen und eine Ironisierung zu spüren?

M.S.: Vielleicht eine bestimmte Art von Humor, den ich einfach habe, aber nicht in erster Linie Sozialkritik, würde ich sagen. Ich fange nicht an, eine Arbeit zu machen mit dem Gedanken etwas Kritisches zu machen. Eher dass das, was ich machen will gut ist und dass es gemacht werden muss.

H.F. Aber wenn so ein Haus in der Landschaft wegkommt und Du dies als Gewinn ansiehst, dass der Ausblick vielleicht wichtiger ist als dass so ein Haus noch herumsteht, dann ist doch zumindest eine Frage an die bestehenden Verhältnisse auch gerichtet und gehört zu deinen Überlegungen?

M.S, Wenn ich anfange,  etwas zu machen, dann gibt es schon immer eine ganz persönliche Geschichte, etwas interessiert, bewegt oder fasziniert mich einfach. Wie eben auch das Universum. Wenn man die Arbeit vor dem Lenbachhaus ansieht – „Und sie bewegt sich doch“ – so hat sie damit zu tun, was in unserem Leben passiert. Die Zeit verstreicht einfach und am Ende bleibt trotzdem nicht viel übrig.
Ich denke, eine ähnliche Vorstellung war eher der Ausgangspunkt für eine Arbeit wie „3 Ster mit Ausblick“ . Ein Vergehen, ein Aufbrauchen und vielleicht auch mit der Umgebung zu arbeiten.  Das Land als Gegensatz zur Stadt und dann natürlich auch, dass ich dieses Bild einfach interessant finde: Ein sich selbstverzehrendes Haus. Ich glaube, es ist ein Thema, das viele Deutungsmöglichkeiten offen lässt. Das finde ich eigentlich wichtig an der Geschichte.

H.F. Es ist doch heute, dass es uns allen so geht, dass wir den Eindruck nicht loswerden, es steht eher zuviel herum in der Landschaft wie in den Städten. Alles erscheint übermöbliert und man ist eher froh, wenn etwas wegkommt.

M.S. Klar.

H.F. Das trifft auch auf die eigenen Wohnungen zu. Alles ist zu voll geworden und deswegen kann man in „Drei Ster mit Ausblick“ einen Befreiungsversuch sehen von all dem Ballast, wenn auch nur einen kleinen. Diese Arbeit ist ein Bild.

M.S. Klar, logisch.

H.F. Es handelt sich also um eine Geste des Loswerdens.

M.S. Das würde ich auf alle Fälle so sehen. Ganz klar. Das ist auf alle Fälle mit inbegriffen in der Geschichte.

H.F. Du beobachtest sehr intuitiv aber intensiv Deine Welt, Deine Umgebung. Dabei erscheint es zunächst einfacher etwas wegzunehmen als eine neue Skulptur in die Landschaft oder auf einen urbanen Platz zu setzen. Auch bei der Bushaltestelle kann man so eine Umgang mit Vorhandenem beobachten. Wie siehst Du den Ausgangspunkt dieser Arbeit?

M.S. Die Arbeit heißt „Wohnen mit Verkehrsanbindung“ und ist zur gleichen Zeit entstanden  wie die Arbeit „Heimatlied“. Ich war viel unterwegs, wollte aber doch lieber zuhause sein. Und das war die Idee, sich unterwegs einzurichten oder wie richtet man sich unterwegs ein und hat gleichzeitig eine gute Verkehrsanbindung, um doch schnell wieder unterwegs zu sein.  Ich glaube, das ist so ein Gegensatz, der mich zur Zeit sehr beschäftigt: Reisen und sich trotzdem irgendwie Einrichten oder sich irgendwie nur dazwischen wohl zu fühlen. Das glaube ich war der Ausgangspunkt der Arbeit und dann haben mir natürlich auch die Hütten gefallen, wie die alle unterschiedlich gebaut sind und in der Landschaft herumstehen. Eigentlich sind das so Musterhäuschen für Wohnen mit einem guten Verkehrsanschluss geworden.

H.F. Daraus ergibt sich nochmals die Frage nach der Heimat des Künstlers. Auf der einen Seite will er einen Ort zu haben mit dem er sich identifizieren kann, durch seine Tätigkeit  als Künstler, auf der anderen Seite muss er in dieser Welt der Mobilität leben. Wassily Kandinsky hat Murnau als Wohn- und Arbeitsort gut gefunden, weil ein Eisenbahnanschluss vorhanden war. Er meinte sogar, man müsse sich als Künstler in Zukunft mehr im Eisenbahnabteil aufhalten als im Atelier. Wie steht es mit Deiner Verbundenheit zur örtlichen Herkunft und gleichzeitiger Offenheit zur Welt.

M.S. Ja, ich sehe das schon so, dass man als Künstler heute unheimlich viel unterwegs sein muss. Alles verbreitet sich durch Messen und Medien wahnsinnig schnell. Da hat man eine Ausstellung in Tokio und ist dann unterwegs, um das irgendwie zu bewerkstelligen. Bei mir ist es so, dass ich gleichzeitig doch manchmal ganz gern zuhause wäre und in ruhe arbeiten würde. Das ist schwierig, sich seinen Ort einzurichten zum Leben und Arbeiten. Das ist schon ein Thema, das irgendwie wichtig ist.

H.F. Es ist doch auffallend, dass trotz dieser Mobilität Deine Arbeiten sehr viel mit Deiner ländlichen Herkunft zu tun haben. Auch diese Arbeit „Sternschnuppe“, bei der von einem Mercedes Straßenlaternen wie durch eine Armbrust abgeschossen werden, ist ja nicht vorstellbar, dass so etwas in der Großstadt realisiert wird. Du planst nun Dein Atelier nach Berlin zu verlegen ?

M.S. Im Moment noch auf dem Land, in Dorfen. Aber ich suche gerade nach einem geeigneten Raum in Berlin.

H.F. Es gibt in Deinem Werk ganz eindeutig Arbeiten, die sich nur erklären lassen von der Herkunft. Wir haben jetzt über solche Arbeiten gesprochen. Aber diese Kunst braucht die Großstadt, um dort überhaupt als Kunst wahrgenommen zu werden.

M.S. Klar, auf dem Land ist einfach nicht das Publikum, das solche Arbeiten rezipiert. Das ist klar, man muss die Arbeiten dann schon in die Großstadt bringen und dort zeigen.

H.F. Leben diese Arbeiten auch von diesem Kontrast, dass etwas, ich will jetzt nicht in der „Wildnis“ sagen, aber außerhalb des urbanen Bereiches stattfindet und dann in diesen „importiert“ wird ?

M.S. Ich würde auf alle Fälle sagen, dass sie von dem Kontrast leben und ich glaube, da gibt es zwei Bewegungen. Der Kontrast ist immer wichtig.  Da  gibt  es zum einen Arbeiten, die auf dem Land dokumentiert werden, wie z.B. die „Sternschnuppe“, wo die Straßenlaternen vom Mercedes abgeschossen werden. Dabei handelt es sich um urbane Materialien, die aus der Stadt kommen. Sie erfahren eine bestimmte Transformation und werden dann aber auf dem Land umgesetzt und dokumentiert,  weil gerade da der Kontrast stärker ist. Dann wird die Dokumentation dieser oder anderer Arbeiten wie „3 Ster mit Ausblick“, „Waldputz“ oder „Wohnung mit Verkehrsanbindung“ in die Städte gebracht und dort gezeigt. Solche Arbeiten leben dann auch von der Atmosphäre vom Land, die durch die Fotografie vermittelt wird.

H.F. Es findet eine Übertragung statt. Was mich weiter interessiert: Du machst ja Skulpturen: Da ergeben sich doch besondere Probleme. Wenn wir vorhin auch von den Reisen gesprochen haben, so bringen plastische, raumbezogene Arbeiten doch ganz spezifische Schwierigkeiten mit sich. Wenn es nur Fotodokumentationen gäbe, dann könnte man die ja verschicken. Aber Deine Präsenz ist ja vor Ort immer unerlässlich. Du sucht ja, wo immer das möglich ist, einen genauen Ort für Deine Arbeit. Also kannst Du auch eine Skulptur in nur seltenen Fällen einfach verschicken ?

M.S. Eigentlich versuche ich schon immer, die Arbeiten für den Ort oder für den Raum, wo sie gezeigt werden, zu machen oder herzustellen.

H.F. Du musst tatsächlich immer unterwegs sein.

M.S. Ja, ich glaube man muss natürlich auch unterscheiden zwischen den ersten Arbeiten, die ich einfach gemacht habe und die nicht für einen Ausstellungskontext entstanden sind. „Wohnen mit verkehrsanbindung“ oder „3 Ster“ mit Ausblick“. Klar, es verändert sich natürlich, wenn man dann zu einer Ausstellung eingeladen wird und versucht etwas für den jeweiligen Kontext zu machen.

H.F. Ich wollte mehr auf die Frage nach dem Raum gehen. Wie verhält sich bei Dir der Zugang zu einem bestimmten Raum ? Gehst Du von einem skulpturalen Denken aus, das heißt Du hast eine bestimmte plastische Idee im Kopf, die Du verwirklichen willst oder siehst Du den Raum und kommst davon zu einem Ergebnis ?

M.S. Alles beide. Plastisches Denken und Raum. Das ist eins.

H.F. Aber wenn jetzt so eine Einladung nach Tokio, New York oder Paris kommt, wie gehst Du an so eine Ausstellung heran ? Mehr vom Ausstellungsraum, der gegeben ist oder von einer Idee, die man realisieren möchte?

M.S. Ich glaube von beidem natürlich. Es gibt eine Idee, die man realisieren will oder es gibt mehrere Ideen, die man realisieren will und dann fährt man dort hin, schaut sich den Ort an und schaut, wie sich eine Idee dort realisieren lässt oder ob eine andere realisiert werden muss. Manchmal ergibt sich auch eine neue Idee aus dem bestimmten Ort oder aus dem vorhandenen Raum. Aber wichtig ist dabei schon, dass es halt einfach ein Thema ist, dass die neue an die anderen Arbeiten anschließt, wie eine persönliche Geschichte, die man realisieren will. Aber das ist es eh immer.

H.F. Was war beispielsweise die persönliche Geschichte für die Außenraumarbeit auf dem Museumsplatz vor dem Lenbachhaus?

M.S. Ich habe vorher die Sternschnuppenarbeit gemacht, auch mit diesem Auto und der „Strassenlaterne  Eben der Weltraum hat mich interessiert oder einfach fasziniert. Er interessiert mich schon immer, weil man nicht wirklich begreifen kann oder nicht wirklich erklären kann, wie das alles zusammenhängt. Erklären kann man es natürlich auf physikalische Weise, aber man kann es nicht wirklich greifen oder nachvollziehen. Daher kommt, glaube ich, auch die Faszination und daher kam die Idee, so ein Modell zu bauen mit Materialien, die mir nah sind: Materialien also, die ich schon verwendet hatte und die dann wiederum um den Museumsplatz herum vorhanden waren. Dies sind Verkehrsmittel wie zum Beispiel das Auto und der Bus oder auch eine Straßenlaterne. Außerdem sollte sich die Arbeit auf den Platz mit seiner Verkehrsbewegung beziehen. Die Arbeit musste daher auch irgendwie Bewegung als Motiv aufgreifen. Ferner die Größe der Skulptur, wie groß die Kugel sein musste, hat sich aus dem Ort ergeben.

H.F. Und in Relation natürlich zum Auto, das Bestandteil der Arbeit war.

M.S. Und in Relation zum Auto. Klar und zur Laterne.

H.F. Und schwingt hier nicht auch so ein Moment von Vergeblichkeit mit, wenn täglich einmal für eine Stunde von einem Museumswärter der Motor des Wagens angelassen wurde, die Weltkugel sich dann in Bewegung setzte und an sich ja doch nichts weiter bewegt hat als die Weltkugel um die eigene Achse und die Laterne um die Weltkugel ?

M.S. Auf alle Fälle. Es ist da das Moment der Vergeblichkeit in dem unspektakulären Ergebnis, indem dann natürlich auch klar wird, dass es doch nicht wirklich funktioniert oder dass es doch nur ein Modell ist, das nicht wirklich stimmt und das doch nicht die Wirklichkeit nachvollziehen kann.  Auch in diesem Punkt vergleichbar mit der „Sternschnuppe“, die auch nur irgendwie 10 Meter fliegt.

H.F. Auffallend viele Künstler befassen sich mit technischen Konstrukten und erwecken dabei gern  den Anschein als würden ihre Geräte wirklich funktionieren. Leonardo da Vinci nimmt man noch ab, dass seine Zeichnungen zu wirklichen Flugaparten dienen sollten. Aber bei Tatlin und noch eindeutiger bei Panamarenko wird doch, dass seine Flugapparate offenbar gar nicht funktionieren dürfen, um eben das zu erhalten, was sie zu Kunst macht. Oder sollte die Sternschnuppe wirklich die Natur täuschen und die Mondfinsternis tatsächlich eintreten ?

M.S. Nee, mir ist es dann auch wirklich lieber, wenn es nicht wirklich funktioniert.

H.F. Und was ist sozusagen das treibende Moment, dass man etwas macht, was im Sinne unserer heutigen, materialistischen Welt nicht wirklich funktioniert?

M.S. Ich glaube zunächst hat es wahrscheinlich mit einer bestimmten Freiheit zu tun. Das hört sich vielleicht abgedroschen an. Wenn ein Schlosser oder Schreiner etwas baut, muss es funktionieren.  Mir ist das Bild wichtiger als die tatsächliche Funktion. Das natürlich auch funktionieren muss. Gerade bei der Sternschnuppe war es ganz klar, dass es einfach schöner ist, wenn das scheiternde Moment dazukommt, wo das Ganze einfach herunterkracht.

H.F. Das Bild ist wichtiger als die Wirklichkeit.

M.S. Würde ich auf alle Fälle sagen. Klar!

H.F. Dann wird auch die Erinnerung an die Arbeit wichtiger sein als die Arbeit selbst. Was bleibt von der „Sternschnuppe“ ?

M.S. Von der wirklichen Sternschnuppe?

H.F. Von der Arbeit

M.S. Da bleibt einfach die Arbeit. Die bleibt schon und die ist viel wichtiger als die Erinnerung, weil sich die Erinnerung mit der Zeit ja verfälscht.

H.F. Ja, aber wie verhält es sich mit dem „Waldputz“ ?

M.S. Ein Erinnerungsfoto ist geblieben.

H.F. Das Foto oder die Erinnerung ? Ist das Foto die Arbeit, das die Erinnerung bewahrt oder ist es für sich etwas, das als eine eigene Geschichte weiterlebt. Der Wald lebt weiter, der hat sich wahrscheinlich längst verändert. Als Foto ist es eingefroren, aber das Foto ist auch zu einer bestimmten Zeit entstanden und wenn 100 Jahre vorbei sind, dann hat das Foto auch seine Geschichte. Beide entfernen sich voneinander.

M.S. Es ist schwierig zu sagen, was jetzt irgendwie wichtiger ist. Für den, der nicht im Wald war ist natürlich das Foto wichtig. Es ist ein Transportmittel. Und natürlich entfernen sich beide voneinander. Im Wald ist jetzt nach mehr als 5 Jahren kaum noch was zu erkennen. Was ich auch sehr schön finde. Und auch die Erinnerung Verändert sich mit der Zeit

H.F. Es bestünde ja die Möglichkeit die Strategie zu ändern. Anstelle eines Fotos der tatsächlichen Situation könnte man auch das Konzept der Arbeit schriftlich festhalten. Es ist ja als künstlerische Strategie auch gemacht worden, dass man als Künstler sagt, was man da gedacht/vorgenommen hat und damit beim Leser ein Bild erzeugt. Dagegen steht dieses Bild, das zu einem bestimmten Moment aufgenommen wurde. Welche Rolle spielt die Fotografie in Deinen Arbeiten?

M.S. Die Fotografie ist die Dokumentation, um die Arbeit dem Betrachter zu zeigen, der es an Ort und Stelle nicht sehen kann. Rein ein Mittel, um das zu vermitteln, um es zu zeigen.

H.F. Aber sie ist dann kein Kunstwerk ?

M.S. Bei manchen Arbeiten. Es gibt Momente in der Arbeit, wenn z.B. die Straßenlaterne in der Luft hängt beim Flug. Davon gibt es die Dokumentation. Das ist dann die Arbeit.

H.F. Das ist eine Entscheidung, die bei Dir als Künstler liegt. Wann ist es bloß eine Dokumentation und wann wird der Moment so reif, dass er in der Fotografie zu einem bleibenden Bild wird?

M.S. Ja, klar. Bei Momenten, die man sonst nicht zeigen kann. Und die nicht wiederholbar sind. sind, wie die „Sternschnuppe“ oder „3 Ster mit „Ausblick“.

H.F. Die Arbeit „Marilyn“, die in San Sebastian und dann im Kunstbau zu sehen war, die bringt so ein anderes Moment in die Arbeit. In ihr wird an ein Bild erinnert, das aber selbst nicht anwesend ist. Es wird eine Bewegung, der Lärm, das Gebläse, das letztlich unter der Straße in der Ebene der U-Bahn stattfindet, darüber dann der Luftschacht, ein Mikrophon als Platzhalter für die abwesende Person, all das wird gezeigt. Der in der Anlage selbst produzierte Ton wird verstärkt und über die Lautsprecherboxen wiedergegeben. Der Sound ist scheinbar ein wesentlicher Bestandteil des „Bildes“. Gibt es noch andere Arbeiten, in denen Ton eine Rolle spielt ?

M.S. Es gibt noch eine zweite Arbeit, das war meine Diplomarbeit an der Akademie der Bildenen Künste München im Januar diesen Jahres. Die Arbeit hat den Titel „Reaktor“ und war im Eingangsbereich des Akademiegebäudes platziert. Es handelt sich um einen Betonwürfel mit 210cm x 225cm x 225cm Kantenlänge. An der Oberseite des Würfels sind 36 Mikrophone wie Brennstäbe, einbetoniert. Die Mikrophone sind an ein Mischpult, Verstärker und 4 Konzertlautsprecher angeschlossen. Die Anlage ist eingeschaltet und bis zum Anschlag aufgedreht. Der Betonblock mit den Mikros funktioniert dadurch wie ein Tonabnehmer einer E-Gitarre. Er nimmt im Gegensatz zu diesem nicht die Schwingungen der Saiten sondern die Schwingungen des Gebäudes ab. Da die Lautsprecher dem Würfel direkt Gegenüberstehen baut sich eine Rückkopplung auf, wie wenn man eine elektrische Gitarre vor einen Verstärker hält. Das Ergebnis ist ein ganz tiefes Brummen, das im letzten Winkel des Gebäudes zu hören und in der Magengegend zu spüren ist. Der Plan war zum Diplom die Akademie mit viel Energie zu verlassen und den ganzen Laden zum vibrieren zu bringen. Beim Ausschalen hat der Betonwürfel Risse bekommen. Am Anfang war ich ziemlich geschockt. Dann fand ich es super...

H.F. Dann hat die Arbeit fast ein Schicksal wie Tschernobyl erlitten ?

M.S. Genau, das fand ich im nachhinein eigentlich ganz schön. Der aufgerissene Reaktorblock. Weil dadurch noch spürbarer war, dass der ganze Block mit Energie gefüllt und kurz vor dem zerbersten ist. Das war zunächst nicht geplant, aber manchmal sind so Zufälle auch ganz gut.

H.F. Weil Deine Arbeiten, die in ihren Prozessen Verwandlungen von Anfang an vorsehen, solche Veränderungen zulässt, kannst Du auch mit Überraschungen leben ?

M.S. Ja, manchmal ist das super und manchmal muss man alles neu machen.

H.F. Was für eine Arbeit hast Du denn im September 2005 Tokio gezeigt?

M.S. Die Arbeit „Zeit ist keine Autobahn“. Die Trienale findet in einer Lagerhalle am Pier von Yokohama statt und in der Halle waren vorher, als ich die Halle besichtigte, LKW-Reifen gelagert. Ich habe einen Teil der LKW-Reifen in der Halle gelassen und habe eine Maschine gebaut, die einen LKW-Reifen gegen die Wand drückt. Der Reifen rotiert ständig und reibt sich  an der Betonwand der Halle ab. Am Boden häuft sich der Abrieb des Reifen, der laufend gewechselt werden muss und  durch einen anderen aus der Halle ersetzt wird...

H.F. sind da z.B. Erinnerungen an Performance-Arbeiten der 70er Jahre etwa von Ulay-Abramovic in Deinem Bewusstsein ?

M.S. Nein. Ich kenn die Arbeit natürlich und wahrscheinlich war die auch schon irgendwo gespeichert .

H.F.
Bei Deiner Yokohama-Arbeit gibt doch eine gewaltige Spur an der Wand ?

M.S. Klar, gibt es eine kleine Spur an der Wand und natürlich füllt sie sich der Boden um die arbeit mit dem Gummistaub. Das ganze ist auch eine prozesshafte Arbeit.

H.F. Geruch spielt dabei auch eine Rolle ?

M.S. Geruch spielt eine Rolle und das fand ich auch ganz gut, dass der Geruch nach Gummi, der vorher noch durch die ganzen gelagerten Reifen in der Halle hing, erhalten bleibt oder sich sogar ausbreitet in der Halle. Die Arbeit hat mit dem ganzen Hafen und dem Transportgeschehen zu tun.

H.F. Und auch dieser endlose Transportzug der LKWs auf Japans Autobahnen, der kein Ende nimmt und auch keinen Anfang zu haben scheint. Das ist schon ein Bild des endlosen, vergeblichen Kreislaufes. Darin ist wieder so eine eindeutige Symbolik von Vergänglichkeit und des vergebenen Bemühens.

M.S. Darum ist die Arbeit, der Arbeit „3 Ster mit Ausblick“ durchaus ähnlich.

H.F. Nur der Unterschied ist natürlich, dass einfach der nächste Reifen der nächste Reifen ist. Endlos. Dagegen scheint das Einzelne, das Menschliche, die menschliche Existenz plötzlich viel fragiler und zerstörbar.

M.S. Das kann man so sagen.

H.F. Also was würdest Du für eine Arbeit für Paris vorsehen?

M.S. Das ist noch schwierig zu sagen. Gibt es da eine Ausstellung irgendwann oder..?

H.F. Ich weiß es nicht, aber wenn jetzt was wäre ?

M.S. Ich habe keine Ahnung. Hinfahren, eine paar Tage da sein, und dann schauen wo die stattfindet.

H.F. Hast Du jetzt so eine Idee für Paris ?

M:S. Nein. Das dauert echt länger.

H.F. Gut. Steht die Arbeit jetzt vor dem MARTa in Herford schon?

M.S. Die steht seit August. Es handelt sich um einen schwarz lackierten russischen Militärhubschrauber mit verspiegelten Scheiben. Jan Hoet hat mich eingeladen eine Arbeit für sein neues Museum in Herford zu realisieren. Auf dem Parkplatz des Museums gibt es ein Betonhaus, in dem die elektrische Versorgung für das Museum untergebracht ist. Darauf habe ich den Helikopter gestellt. Das Haus funktioniert jetzt wie ein Sockel. Die Beleuchtung des Hubschraubers ist an und die Rotoren drehen sich. Eine Szene wie kurz nach der Landung oder vor dem Start.  

H.F. Ein Geräusch oder ist es sehr ruhig?

M.S. Nein, das ist eigentlich ohne

H.F. Eigentlich ganz anders als so ein wirklicher Hubschrauber ?

M.S. Ohne Sound.

H.F. Gibt es bei „Hoher Besuch“ keinen Sound, weil damit eine Irritation beabsichtigt ist ?

M.S. Es ging darum irgendwie eine andere, bedrohliche Welt in dieses nette Herford zu bringen.

H.F. Gibt es eine Erinnerung an Saigon während der letzten Stunden der Amerikaner dort, als vom Dach der Botschaft noch mit Hubschraubern ausgeflogen wurde?

M.S. Eigentlich mehr Apokalypse Now.