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Neville Wakefield im Gespräch mit Michael Sailstorfer

2008

NEVILLE WAKEFIELD Ich habe mich gefragt, was du als deine erste wichtige Arbeit betrachtest.

MICHAEL SAILSTORFER Im November 1999 begann ich mit dem Studium an der Kunstakademie. Die erste Arbeit, die ich dort machte, war Waldputz. Es ist eine Skulptur im Wald, die einfach daraus besteht, dass ich den Boden und die Bäume geputzt habe: 4,80 Meter mal 4,80 Meter und 2,50 Meter hoch. Einen künstlichen Raum in einem natürlichen Umfeld zu schaffen, einfach indem man Material entfernt, interessiert mich nach wie vor sehr, genauso wie die Arbeit mit einem vorhandenen Raum, vorhandenem Material und die Arbeit in drei Dimensionen. Für mich ist das die erste relevante Arbeit.

NEVILLE WAKEFIELD Und wo war das?

MICHAEL SAILSTORFER Das war in der Nähe des Hauses meines Vaters, in Bayern auf dem Land, eine Stunde nordöstlich von München. Mitten im Wald gibt es da einen kleinen Weg, wo die Leute sonntags entlanglaufen.

NEVILLE WAKEFIELD Und die Leute sind zufällig daran vorbeigekommen?

MICHAEL SAILSTORFER Ja, die Leute kommen  zufällig daran vorbei, Spaziergänger oder Wanderer. Das Interessante an der Arbeit ist, dass die Leute nicht wissen, was dort passiert ist. Vielleicht gab es irgendeinen Unfall mit Chemikalien oder jemand hat den Platz vorbereitet, um dort ein Haus zu bauen …

NEVILLE WAKEFIELD Ist die Idee und Möglichkeit einer unwillkürlichen Begegnung in deinem Werk wichtig? Ich frage mich, ob es dir wichtig ist, dass der Betrachter die Natur der Begegnung nicht zwangsläufig begreift oder zumindest nicht sofort realisiert, dass er oder sie es hier mit einem Kunstwerk zu tun hat.

MICHAEL SAILSTORFER In frühen Arbeiten war mir dieser Aspekt sehr wichtig. Ich habe nach wie vor ein Interesse daran, dass es nicht gleich auf den ersten Blick wie ein Kunstwerk aussieht.

NEVILLE WAKEFIELD Mir hat diese Idee des Überfallenwerdens immer gefallen, Erfahrungen, die sich nicht sofort als Kunst zu erkennen geben.

MICHAEL SAILSTORFER Ja, wie Waldputz. 2001 habe ich eine andere Arbeit mit dem Titel Wohnen mit Verkehrsanbindung gemacht. In Bayern auf dem Land gibt es an Bushaltestellen so kleine Holzhütten, in denen die Leute warten können. Sie sehen alle verschieden aus. Ich habe in vier von ihnen eine Tür, Strom und Wasser installiert, das Gras davor gemäht und sie alle mit Küche, Bett, Tisch, Stuhl, Toilette und Licht ausgestattet, wie ein richtiges kleines Haus. Das Ganze spielt mit gewissen Erwartungen, die mit dem Übergang vom öffentlichen zum privaten Raum einhergehen. Es ist ein weiteres Beispiel für eine Skulptur, bei der die Leute, die ihr begegneten, nicht sofort wussten, dass sie in einem Kunstwerk auf ihren Bus warteten.

NEVILLE WAKEFIELD Oft hat man den Eindruck, dass es dir darum geht, Gegenstände mit einem veränderten Verwendungszweck zu schaffen, etwa das Schlagzeug, bei dem du einen Gebrauchsgegenstand, in diesem Fall einen Polizeibus, in ein Musikinstrument verwandelt hast. Durch diese Verwandlung veränderst du den Adressaten.

MICHAEL SAILSTORFER Das gilt für einige Werke, aber nicht alle funktionieren so. Ich habe etwas bereits Vorhandenes wie den Polizeiwagen verwendet, um ein Fenster zu öffnen. Die materielle Skulptur ist mit einer Zeitachse versehen.

NEVILLE WAKEFIELD Mir gefällt, dass aus dem Polizeiauto ein Schlagzeug wurde, aber auch die Umkehrung dieser Autorität zwischen demjenigen, der geschlagen wird, und dem, der schlägt.

MICHAEL SAILSTORFER Deshalb ist es auch ein Schlagzeug geworden. Ich glaube, der Rhythmus ist sehr wichtig: Polizei, Demonstrationen, Marschmusik, Schlagen, Geschlagenwerden, Zerstörung. Auf jeden Fall denke ich, dass es was mit Punkrock zu tun hat, das Heraufbeschwören dieser ganzen Bilder. All die Dinge, die zwischen dem Polizeibus und dem Schlagzeug geschehen, und jede Spur dieses Prozesses, sollen sichtbar sein.

NEVILLE WAKEFIELD Ich möchte dich etwas zum Prozess fragen. Der Prozess versus das Werk im fertigen Zustand. Und du sprichst über den Prozess im Sinne dieser Verwandlung, und offensichtlich wird bei manchen der Werke, etwa 3 Ster mit Ausblick, der Prozess das Werk. Aber in welcher Beziehung stehen diese beiden Zustände zueinander? Wie wichtig ist es, dass der Prozess noch in der fertigen Arbeit lesbar ist?

MICHAEL SAILSTORFER Das ist sehr wichtig. Der Prozess der Herstellung des Dings ist der wichtigste Teil dieser Arbeiten, sogar noch wichtiger als das fertige Objekt. Deshalb muss letztlich jeder Schritt in dem Werk klar zu erkennen sein. Es muss klar sein, wo das Material herkommt, genauso wie alle Spuren der Herstellung der Skulptur. Ein Werk wie das Schlagzeug wirkt ziemlich grob und wie in zwei Stunden gemacht. Die ganzen Schnitte mit der Flex, die Kratzer, der ganze Herstellungsprozess ist da. Es sieht handgemacht aus. Dann hat man die ganze Zeitachse von A bis B und die Person, die das Ding gemacht hat.

NEVILLE WAKEFIELD Das ist interessant. Du hast deinen skulpturalen Prozess als einen der Subtraktion beschrieben, einen des Fortnehmens von Dingen, aber zugleich handelt es sich offenkundig um einen schöpferischen Prozess, einen Prozess der Assemblage, bei dem etwas aufgebaut wird, und mich interessiert, wie du diese Spannung zwischen Zerstören und Erschaffen aufrechterhältst.

MICHAEL SAILSTORFER Nun, ich weiß nicht. Ich glaube, es gibt Arbeiten, bei denen genügt es einfach, etwas wegzunehmen oder zu zerstören. Das ist dann die fertige Arbeit. Wie 3 Ster mit Ausblick. In diesem Fall stellt sich die Frage, wie man diesen Prozess zeigt, was man daraus macht. Es gibt aber auch andere Arbeiten, bei denen die Dekonstruktion nur der erste Schritt ist, auf den dann das Zusammenfügen folgt. Letztlich geht es nie nur um Dekonstruktion, sondern es gibt da immer das Ziel, etwas zu machen.

NEVILLE WAKEFIELD Stimmt. Die Hütte ist für mich wirklich eines der schönsten Bilder für das Sich-selbst-Ausschlachten, das ich seit langem gesehen habe. Begreifst du das als ein hermetisches Werk, in dem Sinn dass sich das Feuer hier selbst verzehrt? Oder handelt es sich eher um ein Bild romantischer Entropie?

MICHAEL SAILSTORFER Das lässt sich schwer erklären, besonders auf Englisch. Ich mag an der Arbeit, dass sie so einfach und zugleich hermetisch ist. Ich glaube, einer der Vorzüge dieser Arbeit ist der, dass sie sich auf sehr verschiedene Weisen lesen lässt. Es ist nicht nur das Bild. Ich glaube, es ist beides.

NEVILLE WAKEFIELD In vielen deiner Werke benutzt du einen offenen Kreislauf, um einen geschlossenen Zustand zu erzeugen. Gab es bei diesem Werk Zeugen? Haben Leute zugesehen, wie die Hütte brannte?

MICHAEL SAILSTORFER Wir waren zu dritt: der Fotograf, Jürgen Heinert – wir haben das Projekt zusammen realisiert – und ich.

NEVILLE WAKEFIELD Mich interessiert aber auch, wie du zwischen dem Monumentalen und dem Häuslichen hin und herwechselst, aber auch in einem gewissen Maße zwischen Stadt versus Land oder Kultur versus Natur, ortsspezifischen versus galeriebasierten Werken.

MICHAEL SAILSTORFER Schwer zu sagen. Jede Arbeit ist ein neues Problem. Zu Beginn meiner künstlerischen Tätigkeit als Student hatte ich noch keine Gelegenheit, Ausstellungen in Galerie- oder Museumsräumen zu machen. Ich wollte Sachen machen und um sie auszuprobieren, habe ich Arbeiten für den Außenraum gemacht. Deshalb habe ich viele der frühen Arbeiten auf dem Land installiert. Einerseits weil mich die Reaktion von Leuten interessierte, die nichts mit Kunst zu tun haben, andererseits weil ich glaube, dass es bei einigen der Skulpturen hervorragend funktioniert hat. Ich glaube am besten ist es, wenn der Kontrast zwischen der Arbeit und dem Ort, an dem sie installiert ist, möglichst groß ist. Deshalb habe ich mich entschlossen, auf dem Land Werke aus „urbanen“ Materialien wie Autoteilen, Flugzeugteilen, Laternenmasten zu machen. Als es losging mit den Einladungen zu Ausstellungen in Galerien wurde es durch die Auseinandersetzung mit dem white cube schwieriger, weil ich eine ähnliche Qualität anstrebte wie bei den Werken im Außenraum. Mir genügte es nicht, einfach nur die Foto- oder Videodokumentation der Werke im Außenraum in den Galerien zu zeigen. Ich musste meine Arbeitsweise verändern, weil ich wirklich etwas für diesen Raum machen wollte, das eine physische Wirkung hat. Da habe ich begonnen, Sachen wie die Reifen- oder Soundarbeiten zu machen, Werke, die Elemente wie Geruch und Geräusche, die normalerweise draußen bleiben müssen, in die Galerieräume miteinbeziehen. Etwa den Reifen, der an der Wand installiert wird …

NEVILLE WAKEFIELD Und sie beginnen, den Raum zu kontaminieren …

MICHAEL SAILSTORFER Genau. Und die Sache breitet sich aus und beginnt zu riechen. In diesem Sinne glaube ich, dass viele Werke in Wirklichkeit sehr persönliche Porträts von Leuten sind …

NEVILLE WAKEFIELD Ich bin mir dessen bei der Arbeit Sternschnuppe bewusst, die deiner Freundin gewidmet ist.

MICHAEL SAILSTORFER Ich habe diese Arbeit für eine Ausstellung 2002 in Italien gemacht, und da traf ich einen Journalisten, der die Arbeit nicht verstehen wollte, und da hab ich ihm diese Geschichte erzählt, und sie hat ihm gefallen, und so ist diese Geschichte entstanden. Damals hatte ich nicht mal eine Freundin.

NEVILLE WAKEFIELD Das ist also ein Mythos.

MICHAEL SAILSTORFER Definitiv.

NEVILLE WAKEFIELD Wie funktioniert dieser Kontaminierungsprozess bei den Soundarbeiten? Kannst du mir ein bisschen was über die Reaktorarbeiten erzählen?

MICHAEL SAILSTORFER Ich interessiere mich wirklich dafür, was Skulptur sein kann und wie sich eine Skulptur ausbreiten und viel mehr Raum einnehmen kann als den, den sie in materieller Hinsicht eigentlich hat. Mir gefällt die Idee, dass ein kleines Kunstwerk riesige Ausstellungsräume füllen kann, das ist sehr ökonomisch. Modell – Reaktor etwa ist ein Betonwürfel. Er ist ziemlich klein – 21 x 22,5 x 22,5 Zentimeter – und in den Würfel ist ein Mikrofon einbetoniert, das mit einem aktiven Lautsprecher verbunden ist. Die Arbeit nimmt die Schwingungen des Bodens auf. Wenn viele Leute durch den Raum laufen, draußen ein Lastwagen vorbei- oder eine U-Bahn unter dem Gebäude durchfährt, dann verstärkt die Arbeit die Vibrationen des Gebäudes. Sie erzeugt ein akustisches Bild eines architektonischen Raums. Eine andere Version dieser Arbeit, Reaktor, war mein Abschlussprojekt, das ich an der Akademie in München 2005 für die Diplomausstellung gemacht habe. Sie stand auf der Treppe im Eingangsbereich und produzierte einen sehr niederfrequenten Ton, den man wirklich in dem ganzen großen Gebäude in der Magengrube spüren konnte.

NEVILLE WAKEFIELD War es dein Ziel, das Unsichtbare sichtbar zu machen, indem du die Atmosphäre verstärkst?

MICHAEL SAILSTORFER Ich glaube ja. Das Wichtige ist, eine Verbindung zwischen den Benutzern des Gebäudes und diesem selbst herzustellen, zwischen der weichen und der harten Architektur, Form und Inhalt, wenn man so will. Ich wollte diese Verbindung irgendwie spürbar machen.

NEVILLE WAKEFIELD Das erinnert mich ein bisschen daran, was so genannte Drone Metal und Brown Sound Bands wie Sunn O))) mit sehr niederfrequentem Sound erreichen wollen. Ich habe mich mit Steven O’Malley von Sunn unterhalten, der über den von ihnen erzeugten Sound unter dem Aspekt der spezifischen Frequenz von Organen sprach und darüber, dass man, wenn man diese Wellenlängen versteht, Musik erzeugen kann, die sich an den inneren Zustand des Körpers wenden kann. In mancher Hinsicht hat es den Anschein, als würdest du mit der Architektur etwas Ähnliches machen und aus ihrem Widerhall eine neue Poetik des Raums erzeugen.

MICHAEL SAILSTORFER Ja, definitv. Ich interessiere mich wirklich für diesen Moment, in dem Architektur Klang wird oder in dem Raum Klang wird, und das Interessante ist, dass ich Modell – Reaktor an verschiedenen Orten installiert habe und die Frequenz der Arbeit immer unterschiedlich ist, manchmal richtig hoch und manchmal richtig tief. Das ändert sich also wirklich mit dem Raum, in dem die Arbeit installiert ist. Und der Klang wird richtig physisch, so dass man ihn regelrecht im Magen spüren kann. Man spürt ihn eigentlich mehr als dass man ihn hört.

NEVILLE WAKEFIELD In der Poetik des Raums schreibt Gaston Bachelard, Architektur existiere auf zweierlei Weise, in einer physikalischen und in einer phänomenologischen Form, die durch unsere Körper und unsere emotionalen Reaktionen auf ihre Geometrie aufgezeichnet wird, und ich habe mich gefragt, inwieweit du versuchst, das Gebäude, die Architektur mit den Reaktorarbeiten als einen emotionalen Raum aufzuzeichnen.

MICHAEL SAILSTORFER Ich glaube, dass das ein wichtiges Element meiner Arbeit ist. Ich habe gerade dieses Buch Der Raum von Franz Xaver Baier gelesen. Ich weiß nicht, ob du davon gehört hast, er ist Philosoph und Architekt und unterrichtet Architekturdesign an der Fachhochschule in München. Mich fasziniert seine phänomenologische Sichtweise der Architektur und des Lebens. Es hat sehr viel mit der persönlichen Erfahrung des Raums zu tun. Wenn etwa ein Soldat und ein Tourist an ein und demselben Strand ankommen, dann nehmen beide wegen der völlig unterschiedlichen Intentionen, mit denen sie dies tun, völlig verschiedene Realitäten wahr. Der Tourist kommt, um sich zu erholen und abzuhängen, der Soldat, um das Land zu erobern.
Es handelt auch davon, dass Menschen sich ihren eigenen Raum schaffen. Eine extrovertierte Person nutzt einen großen Raum, während ein schüchterner Mensch sehr wenig Raum nutzt, manchmal sogar weniger als er aufgrund seiner Körpermaße eigentlich einnimmt. In diesem Buch gibt es ein Zitat von Andy Warhol; er sagt da, er sei ein sehr schüchterner Mensch, der Möglichkeiten sucht, größere Räume zu nutzen als die, die er in physischer Hinsicht besetzt. Eine Möglichkeit, eine große Menge zu erreichen, besteht darin, das Fernsehen zu benutzen. Eine andere Möglichkeit ist der Einsatz von vielen und starken Parfums. Und ich glaube, die Reaktorarbeit macht etwas ganz Ähnliches. In physischer Hinsicht ist sie zwar klein, aber in metaphysischer ist sie es nicht.

NEVILLE WAKEFIELD  Genau, und lustigerweise dürfte es bei der Reifenarbeit unter dem Aspekt von Warhol und dem Parfum genauso sein.

MICHAEL SAILSTORFER Ja, ich interessiere mich immer für den Moment, in dem eine Person und ein Charakter sich in die materielle Architektur ausdehnen, an der Ausweitung der Verbindung zwischen diesen beiden Architekturen, der harten physischen Architektur und der weichen menschlichen Architektur.

NEVILLE WAKEFIELD Ich habe mir Anna, deine Arbeit von 2004 angesehen, die aus einem Föhn, einem Mikrofon und einem Lautsprecher besteht, und habe mich gefragt, wie das funktionierte und ob das ein Vorläufer der Reaktorarbeiten war.

MICHAEL SAILSTORFER Anna ist ein Jahr früher entstanden und auf jeden Fall eine Vorstufe der Reaktorarbeiten. Anna ist das Porträt eines Mädchens.

NEVILLE WAKEFIELD Du hast viel über Porträts gesprochen und darüber, dass alle diese Werke sich auf die eine oder andere Weise auf Menschen und Beschreibungen von Menschen beziehen. Gilt das auch für die Reaktorarbeiten, wenn auch in einem metaphysischen Sinn?

MICHAEL SAILSTORFER Ich glaube man kann sagen, dass sie beides sind. Mir gefällt, dass die Arbeit sowohl für eine Person stehen als auch ein Porträt des Raums sein kann, in dem es installiert ist. Mir gefällt, dass es diese Offenheit behält, und daher meine ich, dass es im Wesentlichen abstrakt ist. Das, was wir darüber gesagt haben, dass man das Unsichtbare sichtbar macht, ist auch meine Beschreibung der Arbeit.

NEVILLE WAKEFIELD Ich habe es auch unter dem Aspekt betrachtet, dass es eine Verbindung herstellt, oder eine Verbindung herzustellen versucht, zwischen der Naturwissenschaft, wenn man so will, und der Poesie, oder zwischen der Naturwissenschaft und der Kunst, und mich gefragt, inwiefern du meinst, dass dieses Werk ein Versuch ist, eine Brücke zwischen diesen beiden Gebieten zu schlagen. Oder ob du sie eigentlich überhaupt nicht als unterschiedliche Größen ansiehst.

MICHAEL SAILSTORFER Wahrscheinlich spiegelt es ein Interesse an beidem. Ich weiß aber nicht, ob das eine bei mir einen Bezug auf das andere hat. Ich glaube nicht, dass ich mir bei der Arbeit an einem Werk bewusst bin, dass es da möglicherweise eine Kluft zwischen diesen beiden Feldern gibt. Ich bin einfach sehr unbefangen und spiele gerne mit Dingen herum, auf wissenschaftliche Weise oder sonstwie.

NEVILLE WAKEFIELD Denkst du beim Konzipieren eines Werks an die Ergebnisse? Machst du sie als Experimente? Oder weißt du, was du erreichen willst?

MICHAEL SAILSTORFER Das hängt ganz davon ab. Manchmal weiß ich es, manchmal nicht. Als ich zum Beispiel die Reaktorarbeit gemacht habe, wusste ich noch überhaupt nicht, was da passieren würde. Ich hatte vom Guss einer anderen Arbeit etwas Beton übrig und ein Mikrofon im Atelier, und dann habe ich das Mikrofon einfach in den Beton gesteckt, weil ich fand, dass das gut aussieht. Ein halbes Jahr später habe ich den Kubus mit dem Beton und dem Mikrofon darin wieder gefunden und es an einen Lautsprecher angeschlossen. So ist dieses Werk entstanden. Es hat also viel mit dem Herumspielen mit Materialien zu tun und auch mit Ideen und natürlich mit dem Vermischen von beidem; aber ich bin mir über das Ergebnis nicht immer im Klaren.

NEVILLE WAKEFIELD Warst du von dem Ergebnis überrascht, als du das Mikrofon angeschlossen hast?

MICHAEL SAILSTORFER Ich war sehr überrascht, weil ich nicht damit gerechnet hatte, dass was aus dem Lautsprecher kommen würde. Es war ein ganz tiefes Brummen, und dann beschloss ich herumzulaufen und sprang auf dem Boden herum, und es begann sich zu verändern.

NEVILLE WAKEFIELD Genau. Und dann hab ich über diesen Zusammenhang zwischen Phänomenologie und Metaphysik nachgedacht und mich gefragt, ob das auch für die Unterwasserarbeiten gilt und ob du ein bisschen über sie sprechen könntest. Wie sind die entstanden?

MICHAEL SAILSTORFER Das war während meines Studiums am Goldsmiths College, in einer Zeit, als ich eine Menge unterschiedlicher Dinge ausprobierte, und nach einer Weile war ich ziemlich unzufrieden mit einigen Ergebnissen meiner Produktion, so dass ich es für das Beste hielt, alles zu zerstören. Das hatte eine befreiende Wirkung auf mich und bedeutete, dass ich die Sachen einfach über Bord werfen konnte, buchstäblich, und dann wurde es eine andere Arbeit. Das zweite, was mir an der Idee wirklich gefiel, war die Tatsache, dass die Sachen über den ganzen Globus verteilt waren, im Ozean verloren wie Teile eines Piratenschatzes, der auf den Meeresgrund gesunken ist. Ich habe die Skulpturen dann tatsächlich über Bord geworfen, und direkt danach habe ich den Taucher nach unten geschickt, und er hat das dokumentiert, aber die Skulpturen bleiben auf dem Meeresgrund an der Stelle installiert, wo sie gelandet sind, und das Einzige, was bleibt, ist tatsächlich die Dokumentation der Werke und die GPS-Daten vom Standort der Skulpturen.

NEVILLE WAKEFIELD Das hört sich interssant an. Irgendwie scheint es sich dabei um denselben Vorgang zu handeln wie bei den Reaktorarbeiten, nur auf eine etwas andere Weise. Die Aufzeichnung der Umgebung durch die dort installierte Skulptur.

MICHAEL SAILSTORFER Ja, tatsächlich, da hast du recht. Es gibt da Parallelen zu der Reaktorarbeit. In dieser Hinsicht habe ich über die Unterwasserskulpturen noch nicht nachgedacht.

NEVILLE WAKEFIELD Während es bei dem einen Sehen und Sicht geht und das, was man nicht sehen kann, geht es bei dem anderen um Klang und Akustik und das, was man nicht hören kann.

MICHAEL SAILSTORFER Ja, und irgendwie ergeben sie genau auf diese Weise einen Sinn.